Funde belegen, dass in Vindonissa im 1. Jahrhundert n. Chr. auch Kinder gelebt haben. Doch wie sah deren Alltag aus? Wie wuchsen sie inmitten tausender Legionäre auf? Und womit spielte man im und um das Legionslager?
Im Boden von Vindonissa stiessen Archäologen und Archäologinnen auf faszinierende Funde, die Einblicke in das Leben vor 2000 Jahren im einzigen Legionslager in der heutigen Schweiz geben. Darunter sind mehrere Objekte, die einst Kindern gehörten.
Eines der spannendsten Stücke ist eine Tonrassel in Form eines Hahns, die heute im Vindonissa Museum ausgestellt ist. Solche Tonfiguren von Tieren waren im Römischen Reich weit verbreitet. Sie waren mit kleinen Steinchen gefüllt und sollten sowohl beruhigend auf Säuglinge wirken als auch vor bösen Geistern schützen.

Uneheliche Kinder von Legionären in Vindonissa
Dass eine Rassel in einem Legionslager gefunden wurde, mag auf den ersten Blick überraschen. Schliesslich war es den Legionären nach geltendem Recht verboten, während ihrer Dienstzeit eine Ehefrau und Kinder zu haben. Es sei denn, sie gehörten zu den höheren Dienstgraden und genossen besondere Privilegien.
Dies hielt die Legionäre jedoch nicht davon ab, während ihrer Dienstzeit Beziehungen zu Frauen ohne römisches Bürgerrecht aus der provinzialen Bevölkerung einzugehen. Aus diesen als Konkubinat (concubinatus) bezeichneten Beziehungen gingen häufig Kinder hervor, die rechtlich gesehen als unehelich galten.
In Vindonissa lebten die unehelichen Kinder nicht im Legionslager selbst, sondern in der umliegenden Zivilsiedlung.
Hohe Offiziere lebten mit der Familie
Für höhere Offiziere und den Legionskommandanten galten jedoch andere Regeln. Sie durften rechtsgültige Ehen mit römischen Bürgerinnen eingehen. Die ranghöheren Legionsangehörigen lebten daher mit ihren Familien innerhalb des Legionslagers. Funde aus Vindonissa belegen dies eindrucksvoll: etwa zwei Gräber mit den Überresten von drei Neugeborenen, die 2003 im Haus eines centurio entdeckt wurden.
Kindheit im Imperium Romanum
Ein Neugeborenes erhielt erst einige Tage nach der Geburt einen Namen. Dies lag vermutlich daran, dass die Kindersterblichkeit hoch war und man zunächst abwarten wollte, ob das Kind überlebensfähig war. Zum Schutz vor Unheil trugen Kinder Amulett-Halsbänder.

Im Römischen Reich wurden Kinder in der Regel bis zum sechsten oder siebten Lebensjahr von ihrer Mutter, einer Amme oder einer Sklavin aufgezogen.
Römische Elementarschule
Ab dem siebten und etwa bis zum zwölften Lebensjahr besuchten die Kinder vermögender Eltern eine Art Elementarschule. Dort lernten sie Rechnen, Lesen und Schreiben. Es war nur eine rudimentäre Ausbildung, in der das Nötigste für den Alltag gelernt wurde, um Rechnungen, Belege und kurze Briefe schreiben zu können. Die grosse Mehrheit der Kinder kam nie über die Elementarschule hinaus und viele konnten auch gar nicht lesen und schreiben.
Nur den gut situierten Jungen stand im Alter von 13 oder 14 Jahren ein Studium griechischer und lateinischer Literatur offen, wo sie je nachdem auch in die Kunst der Rhetorik eingeführt wurden. Mädchen hingegen wurden meist früh verheiratet und besuchten – wenn überhaupt – nur die Elementarschule.
Die Schulbildung damals lässt sich keinesfalls mit heute vergleichen. Eine Schulpflicht existierte nicht. Es gab auch keine staatlichen Schulen oder Schulstoff, der Staat kümmerte sich nicht ums Schulwesen. Eine Schule gründen durfte jeder zum Lehren befähigte Mann.
Wie die Schulbildung in Vindonissa konkret organisiert war, ist nicht bekannt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sie ähnlich wie an anderen Orten im Imperium Romanum ablief. Somit dürften die centuriones, die mit ihren Familien im Legionslager lebten, grossen Wert auf eine gute Ausbildung ihrer Söhne gelegt haben.
Spiele und Spielzeug zur Römerzeit
Dank Ausgrabungen ist es möglich, ein ungefähres Bild der Spielzeuge zu erhalten, mit denen die Kinder in Vindonissa spielten. Beispielsweise fanden Archäologinnen und Archäologen im Boden drei gedrechselte Holzkreisel. Solche waren im römischen Reich ein überaus beliebtes Spielzeug.

Bälle
Ebenfalls sehr verbreitet waren Bälle, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Bälle waren meist aus Tuch oder Leder genäht und mit Haaren, Federn, Filz oder Ähnlichem befüllt. Anstelle von Bällen spielten Kinder auch gerne mit Reifen aus Holz, die sie durch die Strassen und über freie Plätze trieben.
Würfel- und Brettspiele
Ein weiteres beliebtes Spielzeug in der Römerzeit waren Würfel- und Brettspiele. Archäologinnen und Archäologen fanden in Vindonissa zahlreiche Spielsteine und Würfel.

Schwarze und weisse Glassteine wie die abgebildeten aus Vindonissa waren am häufigsten, aber es gab auch farbige. Bei verschiedenen Brettspielen spielte die eine Person mit den hellen, die andere mit dunklen Steinen.
Knöchelchen aus Sprunggelenken von Ziegen, Schafen und Rindern, astragali genannt, wurden von Kindern für Geschicklichkeitsspiele verwendet. Die Seiten der astragali hatten nämlich wie bei einem "normalen" Würfel unterschiedliche Werte. Von ihnen gab es Nachbildungen aus Bronze, Ton, Gold und anderen Materialien.

Nüsse wurden ebenfalls häufig zum Spielen verwendet, wie antike Literatur und Funde verdeutlichen. Genauso gut könnten auch – wie bei heutigen Kindern - Äste, Steine, Erde, zerbrochene Gefässe etc. als Spielzeug gedient haben.
Als Kind in Vindonissa
Wie genau der Alltag und die Schulbildung der Kinder im und ums Legionslager Vindonissa wirklich aussah, kann heute natürlich nicht mehr gesagt werden. Trotzdem ermöglichen Funde teilweise nachzuvollziehen, wie ein Kind aus Vindonissa aufgewachsen ist, womit es gespielt hat und wie es ausgebildet worden ist. Es sind Spuren der Vergangenheit, die uns einen kleinen Einblick in den Alltag eines Kindes im römischen Vindonissa geben.
Literaturverzeichnis
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