Welche Kleidung trugen die Männer und Frauen im späten Mittelalter? Etwas Sackartiges und Einfaches in Braun? Weit gefehlt!
Gerade im ausgehenden Mittelalter wurden die Schnitte immer körperbetonter und raffinierter. Und eine ganze Reihe leuchtender Farben konnte auch mit einigermassen erschwinglichen Naturfärbemitteln wie Krapp oder Färberwaid hergestellt werden.
Die Frau des Landvogts macht sich morgens zurecht
Um die Vielfalt des ausgehenden 15. Jahrhunderts in der Schweiz und im süddeutschen Raum darzustellen, reicht ein einzelner Blogbeitrag natürlich nicht aus. Aber wir werfen einen kleinen Blick darauf, was die fiktive Frau von Landvogt Jörg Freiburger bei Antritt seiner zweiten Amtszeit als Landvogt auf der Lenzburg um 1485 getragen haben könnte.
Als respektable und verheiratete Frau trägt Frau Freiburger ihre Haare nicht offen, sondern geflochten und unter einer Haube. Ein wenig vom Haar lässt sie aber mit den Haarschnecken hervorblitzen. Als unterste Schicht, quasi als Unterwäsche direkt am Körper, wird ein weisses Leinenhemd getragen. Das Hemd kann einfach oder gefältelt sein und reicht ungefähr bis zum Knöchel.
Darunter trägt Frau Freiburger Strümpfe aus Wollstoff. Um diese vom Rutschen abzuhalten, konnten Lederriemen oder Bänder zum Fixieren getragen werden. Dies war meist schon die gesamte Unterwäsche der Frau.
Es gibt zwar Funde und Quellenhinweise auf "tuttenseck", was soviel heisst wie "Brustsäcke", also eine Art BH aus Leinen, aber solche sind vermutlich nicht in jedem Fall getragen worden.
Die Schuhe waren aus Leder gefertigt und nicht etwa wie heute rahmengenäht, sondern wendegenäht. Das bedeutet, dass die Schuhe mit der Innenseite nach aussen zusammengenäht und danach umgestülpt, also gewendet wurden.
Bei schlechter Witterung oder morastiger Strasse konnte Frau Freiburger zusätzlich Trippen tragen. Trippen sind Unterschuhe aus Holz oder Leder, welche die Schuhe vor Nässe und Dreck schützen.
Kleid mit angesetztem Rockteil und Nestelschnur
Als nächste Schicht kommt das Kleid. Das Kleid von Frau Freiburger ist aus zweifach krappgefärbtem roten Wollstoff gefertigt und hat einen angesetzten Rockteil. Die Variante mit angesetztem Rockteil anstelle von durchgehenden Bahnen mit eingesetzten Geren kam ab dem 15. Jahrhundert auf.
Geschlossen wird das Kleid vorne mit einer Nestelschnur, die durch eine Reihe von angenähten Messingringen gezogen wird. Es gab aber auch andere Verschlussmöglichkeiten, beispielsweise Haken und Ösen oder Nestellöcher.
Die hinten geschlitzten und durch Nestelschnüre zusammengehaltenen Ärmel waren in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Schweiz und auch im süddeutschen Raum sehr modisch.
Über dem Kleid wurde oft ein Gürtel getragen. Daran konnte der Almosenbeutel befestigt werden.
Als nächstes folgt die Haube. Diese kann gerade im 15. Jahrhundert in vielen Formen und Variationen daherkommen. Wichtig ist hierbei, dass jede respektable Frau ab einem gewissen Alter – nicht nur die verheirateten! – ihre Haare, zumindest zum Teil, bedeckte.
Haubengebilde: Viele Varianten
Die teilweise voluminösen Haubengebilde konnten in verschiedenen Varianten gewickelt, gelegt und konstruiert werden. Dazu verwendete man für viele Varianten ein langes, rechteckiges Tuck, ein so genanntes "Steuchlein". Dieses war meist aus gebleichtem Leinen, konnte bei wohlhabenderen Trägerinnen aber auch aus feinem Wollstoff oder sogar Seide gefertigt sein.
Festgesteckt wurden die Stoffschichten mit Nadeln. Ob die Hauben jeweils neu gewickelt oder einmal gewickelt mit Nähten fixiert und wieder so aufgesetzt wurden, lässt sich nur vermuten.
Über dem Kleid wurde, bei kälteren Temperaturen oder allgemein beim Ausgehen ausser Haus, ein Überkleid getragen. Frau Freiburgers Überkleid ist aus waidgefärbter Wolle mit gelbem Leinenfutter. Im 15. Jahrhundert kam auch die so genannte Schaube auf, eine Art Mantel mit Ärmeln. Diese wurde von Männern und Frauen getragen.
Umhänge wurden im 15. Jahrhundert von Frauen offenbar seltener getragen, jedoch gibt es in der Chronik des Diebold Schilling eine Darstellung von "pfaffendirnen", welche eben solche kurzen Umhänge tragen.
Um das Überkleid zusammenzuhalten trägt Frau Freiburg einen bestickten Gürtel – es könnte aber auch ein Ledergürtel sein. Die Stickerei hier ist einem Original aus dem Victoria and Albert Museum in London nachempfunden, die aus Deutschland stammt und auf das 14. oder 15. Jahrhundert datiert ist.
So gekleidet ist Frau Landvogt nun bereit für einen Gang auf den Markt! Und wie gehen sie an einem kühleren Tag aus dem Haus?
Verwendete und weiterführende Literatur (z.T aus anderen geographischen Räumen):
- Cowfoot, E.; Pritchard, F.; Staniland, K.: Textiles and Clothing 1150 – 1450, London, 2001.
- Geppert, Silke: Mode unter dem Kreuz. Kleiderkommunikation im christlichen Kult, Salzburg, 2013.
- Harlaut, Mathieu: Company of Saynt George – Clothing Guide Men, Bern, 2o10.
- Holenstein et al.: Zweite Haut. Zur Kulturgeschichte der Kleidung, Bern, Stuttgart, Wien, 2010
- IG Gewand: Um 1504 – Die Grundausstattung, Karlsruhe, Bretten, 2017.
- Kania, Katrin: Kleidung im Mittelalter. Materialein – Konstruktion – Nähtechnik. Ein Handbuch, Köln, Weimar, Wien, 2010.
- Nutz, Beatrix; Stadler, Harald: How to pleat a shirt in the 15th century, Eastop, 2007.
- Ostergaard, Else: Woven into the Earth: Textile Finds from North Greenland, Aarhus, 2004.
- Thursfield, Sarah: The Medieval Tailor's Assistant, Ramsbury, 2018.
- Zander-Seidel, Jutta: "Haubendämmerung: Frauenkopfbedeckungen zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit", in: Schwinges, Rainer C. ; Schorta, Regula (Hrsgg.): Fashion and clothing in late Medieval Europe, Basel, 2010, S. 37-43.
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