Ob Museum oder Ausstellung: Die dort präsentierten Objekte ziehen uns in ihren Bann und machen Geschichte greifbar. Doch was macht ein Objekt authentisch? Werfen Sie einen Blick hinter die Kulisse von Museum Aargau.
Bei den vorliegenden Objekten handelt es sich um die imposanten Grabplatten eines Habsburger Herrscherpaares, des Königs Rudolf I. von Habsburg (1218-1291) und seiner Frau Anna von Habsburg (1225-1281), sowie deren Sohn Karl. Beide Platten sind überaus massiv und wiegen über 250 Kilo. Die von Rudolf ist dementsprechend auch über 2 Meter hoch und 80 Zentimeter breit.
Die Originale aus dem Hause Habsburg
König Rudolfs Bildnis ist gezeichnet durch eine strenge Adlernase und einige Furchen im Gesicht – die Merkmale eines weisen Herrschers. In den Händen trägt er einen Reichsapfel und ein Zepter. Er ist umgeben von den Löwen des Hauses Habsburg und den Symbolen des Heiligen Römischen Reiches, dessen König er war ohne je die Kaiserwürde zu erlangen.
Annas Platte, auf der auch Karl abgebildet ist, ist ebenso symbolträchtig gestaltet und nochmals grösser als diejenige Rudolfs. Ihr Gesicht weist eine Form makelloser Jugend auf und ist aufgrund des Tuches um den Kopf in einer Dreiecksform sichtbar. Leicht lächelnd ist Karl nebenbei als kleines Kind zu sehen, während beide von Schildern mit verschiedenen Herrschaftswappen umgeben sind.
Schein und Sein
Die lebensnahe Qualität der Bildnisse scheint uns einen direkten Blick in die Gesichter der Vergangenheit zu ermöglichen. Doch hier begegnen wir einem ersten Problem der Authentizität, denn keiner der drei hat genau so ausgehen.
Dies beginnt nur schon mit dem kleinen Karl, der im Alter von wenigen Monaten verstarb und somit nie die Kindheit erlebte, die hier abgebildet ist. Was das Paar betrifft, so sind deren Gesichter nicht nur idealisiert, sondern auch sehr geläufig und auch andere Königinnen und Könige aus dieser Epoche tragen auf ihren Bildnissen äusserst ähnliche Züge.
Was hier sichtbar ist, ist nicht die Person per se, sondern ein Idealtyp der Herrschaft, eine Darstellung der Figur eines Königs und einer Königin. Es ging hier um die Vermittlung einer Idee und nicht um eine originalgetreue Nachbildung.
Diese Idee des Vermächtnisses spiegelt sich auch in den Orten wieder, an denen die beiden Grabplatten nun ruhen. So war es Annas Wunsch, in Basel beigelegt zu werden, während Rudolfs Grabplatte im Dom zu Speyer aufzufinden ist. Doch wie können die Objekte dann gleichzeitig auf dem Schloss Lenzburg sein?
Der Kreislauf der Kopien
Die Antwort ist natürlich einfach zu erraten: Es handelt sich um Kopien der Objekte. Genauer gesagt sind es Gipsabdrücke aus den 1960er Jahren, hergestellt von Fritz Wehret aus Riehen bei Basel. Doch es wird noch etwas umständlicher.
Denn genauso wie die ursprünglichen Grabplatten keine genaue Abbildung der Personen waren, so sind diese Kopien auch keine perfekte Überlieferung der Originale. Diese verloren im Verlauf der Jahrhunderte ihre Farben, die nur noch Spurenweise belegbar ist. Zudem wurden Sie mehrmals sowohl beschädigt als auch restauriert, wobei sich auch Fehler einschlichen. So sind zum Beispiel Annas Hände nun nach vorne hin gefaltet, obwohl sie ursprünglich wohl zum Gesicht hoch zeigten.
Somit handelt es sich um eine Kopie, die einen bestimmten Zustand der Platten abbildet, nämlich denjenigen um 1960. Sollten die Originalen seither restauriert worden sein, würden sich dies nicht mehr auf die Objekte auf Schloss Lenzburg auswirken.
Ein Erlebnis der Authentizität
Ändert dieses Wissen nun unsere Wahrnehmung der Objekte? Haben sie, wie der Philosoph Walter Benjamin argumentierte, ihre "Aura der Authentizität" verloren? Oder anders gefragt: Hat ein Museum noch einen Wert, wenn es nur Kopien ausstellt?
Eine mögliche Antwort wäre, dass es schlussendlich ja nicht um die einzelnen Objekte an sich, sondern um ein Gesamterlebnis geht. Die einzelnen Objekte erhalten ihre wahre Bedeutung oftmals erst im Kontext der gesamten Ausstellung.
Auf Schloss Lenzburg werden die beiden Grabplatten somit Teil einer grösseren Erzählung. Denn während die Originale geografisch weit getrennt ruhen, ist das Herrscherpaar hier vereint und das Gesamtbild eines Königspaares kann so unmittelbar erfahren werden.
So mag für die Zuschauenden das Erlebnis des Originalen fehlen, aber nichtsdestotrotz findet der Prozess des Geschichteerlebens statt. Und was ist die Aufgabe der Museen, wenn nicht die Auseinandersetzung und Reflektion über die Vermittlung von Geschichte? In diesem Sinne kann man auch die Frage stellen, wann die Kopien an sich historisch werden und ihre Geschichte spannender wird als die Originalobjekte selbst?
Originale in der digitalen Welt
Die Motivation, das Original zu erfahren, wird wohl dennoch stets vorhanden sein. Somit gehört es auch zum Aufgabenfeld einer Ausstellung oder eines Museums, diese Objekte zu erhalten und zu schützen. So wird auch in Zukunft die physische und digitale Nachbildung historischer Gegenstände an Bedeutung zunehmen.
Geschichte und Geschichtsvermittlung ist immer eine Annäherung an das Vergangene und nie eine direkte Erfahrung. Die Tatsache, dass wir eine Kopie vor uns haben, sollte dieses Erlebnis nie schmälern. Ganz im Gegenteil: Sie macht uns bewusst, dass unsere gegenwärtige Inszenierung der Objekte und Geschichten genauso relevant und interessant ist wie die Gegenstände selbst. Das Erleben der Vergangenheit ist ein stetiger Prozess und keine vollendete Tatsache.
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